Mehr als nur Dekoration

Quelle: Der Tagesspiegel, Michaela Nolte, 05. September 2020

Kunst am Bau soll die Kultur und Geschichte eines Gebäudes möglichst erfahrbar machen. Der Weg vom Atelier auf die Baustelle ist aber oft lang

„Ein Leben ohne Kunst ist möglich, aber sinnlos“, zitiert Alexandra von Stosch von Artprojekt leicht abgewandelt das Loriot-Bonmot. Für eine Kunsthistorikerin ist es naheliegend, aber auch das Credo der Entwicklungsgesellschaft Artprojekt kann man auf diesen Punkt bringen. Dem Gesetzgeber ist Kunst am Bau immerhin so wichtig, dass 0,5 bis 1,5 Prozent der Bausummen in öffentliche Aufträge fließen. Im Vordergrund steht dabei die baukulturelle Verantwortung und Vorbildfunktion des Bundes. Künstlerische Ausdrucksformen sind dabei äußerst vielfältig: vom Bild an der Wand bis zur Bronzeskulptur im Außenraum, von realistisch bis abstrakt, von komplexen Installationen bis zur Medienkunst. Für Artprojekt-Prokuristin von Stosch bedeutet Kunst am Bau denn auch mehr als schmucke Dekoration: „Es geht um die Erweiterung der Wahrnehmung und um gelebte Kultur. Mit Kunst zu leben, stiftet Identität, erhöht die Lebensqualität und fordert das Denken heraus.“ Firmengründer Thomas Hölzel schuf 2017 eigens die Abteilung Kunst & Kultur, um seine Leidenschaft als Sammler – der Architektur und Kunst schon immer zusammengedacht und realisiert hat – mit der promovierten Kunstwissenschaftlerin zu professionalisieren.

Zum Auftakt gibt es erst einmal eine Führung durch die Galerie. Dabei handelt es sich nicht um einen weiteren Geschäftsbereich, sondern um den Charlottenburger Firmensitz, wo Stars wie Bill Viola hängen, junge Maler wie Ondrej Drescher und Emerging Artists wie Amir Fattal oder Peter Welz. Gegründet hat Hölzel das seit 1995 in Berlin ansässige Unternehmen zehn Jahre zuvor in seiner Geburtsstadt München. Mittlerweile firmieren unter der Dachgesellschaft eine Holding und drei Tochtergesellschaften. Die Artprojekt Real Estate hat Deutschlands erstes Loft-Projekt entwickelt, Raum für Elektroautos in Sanierungsobjekte integriert als die Technologie noch belächelt wurde und investiert in ökologisch und sozialorientierte Wohn- und Gewerbeprojekte.  Die Prämisse: Bauen mit Kunst. So hat Marcel Bühler im Ludwigkirch-Palais, nahe der St. Ludwig Kirche, von der Tür bis in den Lift installative Kunst geschaffen, die das Leben Ludwigs IX. reflektieren. Für die 2019 fertiggestellten Kurpark-Kolonnaden in Bad Saarow hat Via Lewandowsky „Prosabroschen“ entworfen, die Maxim Gorki zitieren, der in den 1920er-Jahren ebenda seine Erzählung „Die erste Liebe“ geschrieben hat. „Die Künstler“, so von Stosch, „setzen sich mit den orts- und geschichtsspezifischen Aspekten auseinander, um Kultur und Historie für die Nutzer zu erschließen und sichtbar zu machen.“ Ein Aspekt, der immer zentraler wird. Soll die Kunst doch nicht nur als dekoratives I-Tüpfelchen in oder um eine Immobilie dienen.

Auch bei Numrich Albrecht Klumpp (NAK) gehören Kunst-am-Bau-Projekte zum Alltag. Das 1980 gegründete Architekturbüro hat sich unter anderem mit Bauten im Bildungssektor bundesweit einen Namen gemacht und mit Künstlern wie Tobias Rehberger, Susanne Weirich oder Stephan Balkenhol zusammengearbeitet. Eines der preisgekrönten NAK-Gebäude ist das 2019 fertiggestellte Oberstufenzentrum für Chemie, Biologie und Physik Lise-Meitner-Schule in Neukölln, das neue architektonische Maßstäbe setzt. Ein markanter Kubus und städtebaulicher Orientierungspunkt, dessen wissenschaftlich anmutende Glas-Aluminium-Fassade durch die geschickte Gliederung schon von außen die virtuose Rauminszenierung transparent macht.

Fritz Balthaus, Professor für Freie Kunst und Bildhauerei an der Hochschule für Künste Bremen, hatte mit seinem konzeptuellen Ansatz, der die Ausrichtung des OSZ und die österreichische Kernphysikerin Lise Meitner als Namenspatronin ins Zentrum stellt, die Jury überzeugt. In den großzügigen, farblich ansprechend und klar strukturierten Kommunikationszonen in den Fluren bilden Alltagsobjekte atomare oder mikrobiologische Zeichen: eine „Tisch-Helix“ aus schwungvoll ineinander gesteckten Arbeitstischen oder ein „Sauger-Molekül“ aus Glastransportgriffen der Baustelle.

Obschon auch von Künstlerverbänden immer wieder eine frühe Einbindung gefordert wird, fallen die Entscheidungen in der Regel nach aufwändigen Wettbewerben. Die empfiehlt der Bundesverband Bildender Künstler dennoch: zur Wahrung von Anonymität und Chancengleichheit. Dabei liegt es in der Natur der Kunst, dass Künstlerihren eigenen, originären Stil haben und so erkennbar sind.

Arthur Numrich plädiert für eine Entschlackung des Verfahrens. Zu aufwändig findet der Mitgründer von NAK : mit Auswahlkommission, wettbewerbsbegleitenden Auslobern und durchschnittlich rund einem Dutzend Fach- und Sachpreisrichtern. Entsprechend dem 2012 aktualisierten „Leitfaden Kunst am Bau“ des Bundesbauministeriums sind Wettbewerbskosten von maximal 15 Prozent der Summe für die Kunstwerke angemessen.

In der Realität, berichtet Numrich, wird der Kostenrahmen oft überschritten: „Das reicht schon mal bis zu 30 Prozent und geht damit vor allem zu Lasten der Künstler“. Seine Alternative: kleinere, dafür hochqualifizierte Jurys. Und die Bauherren sowie die Architekten sollten die ausgewählten Künstler in den Ateliers besuchen, um über den künstlerischen Ansatz und über konkrete Ideen zu diskutieren.

Die Anonymität wäre passé. Aber ein Grundkonflikt – die Angst des Künstlers vor dem Verlust seiner Autonomie und die Befürchtung des Architekten, die Kunstwerke könnten mit der Baukunst konkurrieren – würde frühzeitig ausgeräumt.